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Binnengewässer

einleitung: wasser ist lebensraum!


Poyang-TeubnerBildtitel: „Ein See aus der Perspektive der Algen“, gemalt von Katrin Teubner, 2005:
Die mikroskopische Ansicht der Algen steht im Vordergrund des Bildes. Hinter den Algen ist eine Secchi-Scheibe zur Messung der Sichttiefe (siehe auch Foto unten) während einer Probenahme zu sehen. Linksseitig oben lassen sich zwei Menschen auf dem Probenahmeboot an der Oberfläche des Sees erkennen, die gerade das Seil von der Secchi-Scheibe in das Wasser hinab lassen.

Wie auf dem Bild liegt der Schwerpunkt dieser Webseite auf den photosynthetischen Mikroorganismen, wie Algen und Cyanobak- terien. Diese mikrobiellen Primärproduzenten spielen eine Schlüsselrolle in Seen und Flüssen.

Folgenden Fragen wird hier u.a. nachgegangen:

Wie können photosynthetische Mikroorganismen kleine kurzfristige Nährstoffgaben nutzen?
Warum kann ein großer Nährstoffeintrag (Eutrophierung) die Farbe des Gewässers schnell ändern?
Warum kann eine Seenrestaurierung durchaus scheitern bzw. warum ist die Sanierung meist langwierig und dauert Jahre?
Woran können wir bei einem Spaziergang am Ufer eines Sees leicht erkennen, dass an der Wasseroberfläche Cyanobakterien zu sehen sind?
Wie lassen sich die Auswirkungen der Klimaänderung auf Seen und speziell die im Wasser lebenden photosynthetischen Mikroorganismen abschätzen?
Wie kann der Zustand natürlicher und künstlicher Binnengewässer anhand der mikrobiellen Gemeinschaft von Algen und Cyanobakterien beurteilt werden?
Wie können Mikroben und Algen genutzt werden, um auf natürliche Weise Schwimmteiche „rein“ zu halten und was muss im Wesentlichen beachtet werden, um den guten Zustand eines Schwimmteiches auf lange Sicht zu erhalten?
Seen und Flüsse sind nicht nur Becken, in denen sich das Wasser ansammelt oder Korridore in denen das Wasser durch die Landschaft hindurchfließt - sie sind ganz sicher viel mehr. Wasser ist Leben! Man kann sogar sagen, dass das Wasser in den Seen und Flüssen selbst lebt! Natürliche Wasserbecken können wertvolle Lebensräume für viele Organismen sein, von einer überwältigend großen Anzahl von mikroskopisch kleinen Lebewesen bis hin zu einer Vielfalt von Wasserpflanzen und Wassertieren. Wir erfreuen uns an seltenen Pflanzen und Tieren bei einer Bootsfahrt auf dem Wasser, sei es die tropisch anmutende Wasseraloe (Stratiotes aloides), der spektakulär anzuschauende Geweih- Süsswasserschwamm (Spongilla lacustris) oder der exotisch aussehende Eisvogel (Alcedo atthis) der kleinen schilfreichen Seen und Flüsse im Norden der gemäßigten Klimazone. Die Begegnung mit springenden Schweinswalen (Neophocaena phocaenoides) in ihrem natürlichen Lebensraum der großen subtropischen Seen ist wiederum ein besonderes Naturerlebnis. Manch ein Naturfreund ist begeistert, solche Habitate behutsam zu erkunden. Wir erinnern uns an Teiche, Seen, Bäche oder Flüsse, die uns bereits in der Kindheit angezogen haben oder an denen wir heute gern bei einem Spaziergang verweilen. Das Anlegen eines kleinen Teiches im nahe gelegenen Wald oder in unserem Garten hat wiederum seine eigene Faszination. All diese natürlichen und künstlichen Gewässer sind Teil des Lebens der Menschen. Sie sind weltweit eng mit deren Tradition und Kultur verbunden.
Viele natürlich belassene Binnengewässer sind wertvolle Quellen für Nahrung und Trinkwasser. Andere Binnengewässer sind stark von Konstruktionen modifiziert und dienen der Schifffahrt oder als Talsperre dem Hochwasserschutz, der Trinkwasserentnahme und der Energiegewinnung. Umweltverschmutzung von Binnengewässern ist ein weiteres Zeichen des menschlichen Einflusses auf diese Ökosysteme und hat auch viele Aspekte. Ein Aspekt ist die Eutrophierung, wo ein künstlich hoher Eintrag der wichtigsten Nährelemente wie Phosphor und Stickstoff das aquatische Ökosystem beeinflusst. Die Konzentrationen von Nährstoffen in einem eutrophierten See oder Fluss sind daher viel höher als jene, die dem natürlichen Hintergrund des jeweiligen Gewässers entsprechen. Hohe Nährstoffbelastungen z.B. durch unbehandelte Abwassereinleitung erzeugen somit „extreme“ Umweltbedingungen. Solch eine Nährstoffanreicherung ist häufig mit einer Verringerung der Transparenz des Wassers verbunden. Dadurch erscheint das getrübte Wasser intensiv gefärbt in den Tönen gelb-grün, dunkel-grün oder auch Bordeaux-rot, je nachdem, welche Algen oder Cyanobakterien sich am meisten im Zuge des erhöhten Nährstoffeintrages entwickeln. Seen und Flüsse sind dann weit von einem „gesunden Ökosystem“, d.h. von einem guten oder sehr guten ökologischen Zustand (siehe alpine Seen wie Attersee S und Traunsee S), entfernt. In den meisten Fällen kann der Grund der Nährstoffzunahme eines Sees oder Flusses nicht in dem See oder dem Fluss selbst gefunden werden, sondern liegt in seinem oft großflächigen Einzugsgebiet. Eine Restaurierung im Gewässer allein ist daher nicht ausreichend , sondern muss von einem erfolgreichen Sanierungsmanagement im Einzugsgebiet begleitet werden (siehe hier see-interne Sanierung der urbanen Alten Donau S).
Die Auswirkung von großen Nährstoffmengen wurde über eine Vielzahl von sogenannten Dünge-Experimenten, die auch als Auswuchs-Experimente oder Nährstoff-Zugabe-Experimente bezeichnet werden, gut abgeschätzt. Mit solchen Bioassay-Experimenten konnten wesentliche Zusammenhänge über die OPTIMIERUNG der Wachstumsbedingungen von Algen im Gewässer erlangt werden. Dieses Wissen half die Problematik der massiven Eutrophierung grundlegend zu verstehen. Die Eutrophierung von Binnengewässern ist ein weltweit verbreitetes Phänomen in urbanen Regionen. Die gesundheitlichen Risiken durch z.T. aufrahmende, Toxine bildende Cyanobakterien wie Microcystis spp., Planktothrix rubescens, Cylindospermopsis raciborskii, Aphanizomenon spp. and Anabaena spp. sind aus einer Vielzahl von nährstoffreichen Gewässern der Länder rund um den Globus bekannt (zu den Massenentwicklungen dieser Cyanobakterien siehe hier Bergknappweiher S, Dianchi S, Grosser Mueggelsee S, Taihu S, Alte Donau S, Ammersee S und Mondsee S). Begleitende Untersuchungen von Seen und Flüssen sowie Restaurationsprogramme sind daher in vielen Ländern initiiert worden, um die Wasserqualität zu kontrollieren bzw. zu verbessern. Einige der auf dieser Webseite gezeigten eutrophierten Gewässer sind vor Jahren aufgenommen, spiegeln aber selbst heute noch diesen nicht zufriedenstellenden Gewässerzustand dar. Andere Fotografien mit Aufrahmungen an der Wasseroberfläche können hier jedoch bereits eine historische Ansicht sein, da eine Gewässersanierung inzwischen erfolgreich war. Viel wurde bereits getan, um Meilensteine einer grundlegenden Restaurierung vieler Seen und Flüsse weltweit zu erreichen. Eine durchgreifende Restaurierung von stark eutrophierten Binnengewässern konnte dabei häufig durch die drastische Reduktion des Nährstoffeintrages aus gewässer-externen und auch gewässer-internen Quellen erreicht werden. Der Erfolg dieser Maßnahmen lässt sich gewässerkundlich heute einfach und plausibel nachvollziehen, auch wenn die Kosten solcher Maßnahmen im Gewässer und in dessen Einzugsgebiet in Summe außerordentlich hoch sind.

Poyang-Teubner„Secchi-Scheibe (Secchi-Disk)“ am Seeufer; eingefügtes Bild: Secchi-Scheibe und Lichtmessgerät im Labor:
Das Wachstum der photosynthetischen Mikroorganismen in der Wassersäule hängt von den Lichtverhältnissen unter Wasser ab. Die Abschätzung des Unterwasser-Lichtklimas ist daher für die Beurteilung der Produktivität eines Binnengewässers wichtig. Mit einer Secchi-Scheibe können die Lichtverhältnisse unter Wasser oder die Transparenz des Wassers am einfachsten abgeschätzt werden. Diese Scheibe wird an einer Leine in das tiefe Wasser herab gelassen, bis sie eine kurze Weile nicht mehr zu sehen ist. Beim Hochziehen der Secchi-Scheibe zur Wasseroberfläche wird dann genau die Wassertiefe gemessen, in der die Scheibe zum ersten Mal wieder zu sehen ist. Diese Tiefe wird als Sichttiefe bezeichnet. Für den alpinen Mondsee beträgt das Jahresmittel der Sichttiefe 3,3 m. Die mit der Gewässertiefe abnehmende Lichtintensität kann weiters mit einem Lichtmessgerät gemessen werden. Im Jahresmittel ist im Mondsee in einer Tiefe von 11 m noch 1% der an der Wasseroberfläche eintreffenden Lichtintensität für die Photosynthese verfügbar. Diese durchleuchtete Schicht nennt man „euphotische Zone“. In dieser Schicht überwiegt die mikrobielle Photosynthese gegenüber der mikrobiellen Respiration (siehe weitere Tiefen mit einem ausgeprägten Wachstum der photosynthetischen Mikroorganismen bei 10-12% bzw. 0,1% Lichtintensität im Mondsee S und Ammersee S) auf dieser Webseite). In einem See korrespondieren die Mächtigkeit der euphotischen Zone und die Sichttiefe miteinander. Die euphotische Zone kann daher gut über die Sichttiefe, d.h. einfach über eine Messung mit einer Secchi-Scheibe, abgeschätzt werden. Während der Vegetationsperiode vom späten Frühjahr bis frühen Herbst reicht im Mondsee die euphotische Zone im Durchschnitt um das 3,42-fache tiefer als die Sichttiefe. Dieser Faktor variiert nur leicht zwischen den Jahreszeiten, von Jahr zu Jahr in einem See bzw. zwischen verschiedenen Seen desselben Seentypes.
In anderen Binnengewässern gestaltet sich die Kontrolle des Wachstums der Cyanobakterien und anderer Algenblüten jedoch komplexer. Das erneute „unerwartete“ Aufkommen solcher Massenentwicklungen setzt häufig nach einer vor Jahren durchaus erfolgreich durchgeführten Gewässersanierung ein. Daher sollte die aktuelle Gewässersituation neu hinterfragt werden. Im Gewässer liegt ein prinzipiell anderes Bedingungsgefüge als zu jener Zeit eines übermäßig (!) hohen Nährstoffniveaus (Nährstoff-Überfluss) vor, wie es für die Periode der massiven Eutrophierung im Abschnitt zuvor beschrieben wurde. Das massenhafte Neu-Auftreten von photosynthetischen Mikroorganismen tritt nämlich zu einem Zeitpunkt auf, zu dem „eigentlich“ bereits ein Nährstoff-Mangel (!) im Gewässer herrscht. Es konnte durch vielfältige Gewässeruntersuchungen gut belegt werden, dass in Gewässern mit Nährstoffmangel die Umbauzeiten von Nährstoffen schneller geschehen und auch vielfältigere Wege gehen als in Gewässern mit Nährstoff-Überfluss. Diese Mechanismen können über die Abschätzung von Stoffkreisläufen aber auch den Grad der Kopplungen zwischen den Produzenten, d.h. den im Wasser schwebenden Algen und Cyanobakterien (Lebensgemeinschaft Phytoplankton), und den Konsumenten, d.h. beispielsweise den kleinen Tieren der Gemeinschaft des Zooplanktons, aufgezeigt werden (siehe z.B. Abb. 5 A und B in Teubner et al. 2003 R). Die Nährstoffarmut im Gewässer wird durch eine erhöhte AKTIVITÄT der ORGANISMEN der mikrobiellen Gemeinschaften beantwortet, wodurch die wachstumsbegrenzenden Nährstoffe rasch wieder freigesetzt und somit innerhalb kurzer Zeitspannen etwa dem Wachstum der Algen erneut zur Verfügung stehen (u.a. erhöhte mikrobielle Aktivität durch die Bildung extrazellulärerer Enzyme wie Phosphatasen bei Phosphor-Armut im Gewässer, siehe Abb. 4 F in Teubner et al. 2003 R). Diese Regulationsmechanismen, die es erlauben mit einem Nährstoffmangel gut umgehen zu können, spiegeln sich schlussendlich beispielsweise in dem Neuaufkommen der Cyanobakterien wieder. Mit einem tieferen Verständnis kann man sogar sagen, dass diese Regulationsmechanismen auf der Fähigkeit der Organismen, unmittelbar auf ihre momentane Umweltsituation zu reagieren, begründet liegen. Die heutige Sichtweise in der Gewässerökologie konzentriert sich zu sehr auf langfristige Veränderungen der mikrobiellen Gemeinschaft über mehrere Generationen (z.B. Ermittlung der Veränderung der Artenzusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaften in Bioassay-Experimenten), wodurch ein wesentlicher Blick eines Gewässerbiologen, nämlich auf die ORGANISMEN im Ökosystem, verstellt wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass mikrobielle Primärproduzenten, wie Algen und Cyanobakterien, nur einen Tag oder einige wenige Tage unter günstigen Wachstumsbedingungen in einem Gewässer leben, bevor sie eine Zellteilung durchlaufen. Wie können sich diese Mikroorganismen auf unvorhersehbare oder vorhersehbare Änderungen ihrer Umwelt innerhalb ihrer kurzen Lebensdauer von nur einem Tag-Nacht-Zyklus einstellen? Diese andere Perspektive der Interaktion von Mikroorganismen mit ihrer Umwelt in biologisch relevanten, räumlich und zeitlich kleinen Skalen, hilft verstehen, wie die Ausnützung von kurzlebigen Nährstoffquellen durch Algen in nährstoffarmen Gewässern geschieht. Dies soll nun im folgenden etwas näher für die Aufnahme des Nährstoffes Phosphat in den nachfolgenden zwei Abschnitten beschrieben werden.

Die Phosphataufnahme erfolgt nach einem völlig anderen Prinzip als die gut erforschte, sättigende Substrataufnahme der Enzymkinetik. Dem häufigen Szenario des Phosphatmangels in natürlichen Binnengewässern Rechnung tragend, ist bei Algen kein sättigendes Phosphat-Aufnahmesystem ausgebildet, das eine Inkorporation dieses Nährstoffes etwa abbricht. Es wird quasi so viel wie möglich an Phosphat aufgenommen. Bei hohen Phosphatgaben können die Mikroben über den sogenannten „Luxuskonsum“ große Mengen an Phosphat aufnehmen. Die in den Zellen gebildeten Phosphat-Granula sind dann mikroskopisch leicht zu erkennen. Im Extremfall der unbegrenzt hohen Phosphatzugabe, wie z.B. bei Experimenten, nehmen die Zellen eine sehr große Menge, nämlich das Vielfache ihres üblichen zellulären Phosphatgehaltes auf. Nach einer solch übermäßigen Phosphataufnahme sind diese Mikroorganismen jedoch nicht weiter lebensfähig. Wie zuvor aber bereits erwähnt, sind natürlicher Weise extrem hohe Phosphatkonzentrationsgaben in Binnengewässern nicht wirklich zu erwarten. Der starke Mangel an Phosphat ist die häufigere Situation, an die sich die photosynthetischen Mikroorganismen mit ihrem adaptiven Aufnahmesystem angepasst haben. Neuere Studien zeigen, dass Algen sehr wohl in der Lage sind, durch rasche chemotaktische und kinetische Reaktionen kleine Punktquellen von Nährstoffkonzentrationen ausnützen zu können, bevor diese durch physikalische Prozesse wie Diffusion im Wasserkörper verteilt werden. Solche kurzlebigen, punktförmigen Nährstoffquellen entstehen z.B. durch individuelle Exkretionen einer Vielzahl von Tieren im Wasser, von den Einzellern (Protozoa) bis hin zu den Fischen. Das Konzentrationsniveau, bei dem die Algen und Cyanobakterien durchaus noch effizient Phosphat aufnehmen können, liegt unterhalb der chemischen Nachweisgrenze (Nachweis bis zu 140 nanomol pro Liter im Süßwasser nach Standardmethoden der Gewässerchemie für Süßwasser; Teubner et al., Publikation in Vorbereitung). Daher können die Primärproduzenten selbst in solchen Gewässern noch erfolgreich wachsen, in denen nach Standardmethoden kein freies Phosphat mehr nachgewiesen werden kann.
Das Phosphat kann nur über einen aktiven Transport, angetrieben durch metabolische Energie, von den photosynthetischen Mikroorganismen aufgenommen werden. Die P-Aufnahmesysteme folgen dabei einem „steady-state“, besser gesagt einem stationären Zustand der Nichtgleichgewichtsthermodynamik. Bei der Aufnahme von portionsweise kleinen, d.h. nanomolaren, Phosphatmengen, wie sie z.B. durch Ausscheidungen von Zooplankton den Algen verfügbar sind und nachfolgend diskutiert werden, ergeben sich nur geringe Abweichungen von diesem thermodynamischen Gleichgewichtszustand. Unter diesen Bedingungen erfolgt die Phosphataufnahme über eine lineare Abhängigkeit einer thermodynamischen Fluß-Kraft Beziehung, die das Aufnahmesystem immer wieder in einen stabilen steady-state Zustand zurückführt. Solch ein aktives Phosphat-Aufnahmesystem ist an eine Produktion von Entropie gekoppelt (Entropieproduktion > 0, siehe z.B. Glaser 2005). Nach Prigogine streben solche Systeme eine minimale Entropieproduktion an (Prigogine’s Minimum der Entropieproduktion, Glansdorff & Prigogine 1971). Es mag hier ergänzt werden, dass damit die Phosphataufnahme nach einem anderen thermodynamischen Prinzip verläuft als der Aufbau dissipativer Strukturen wie Wachstum oder Fitness, bei denen die Systeme aufgrund der Bildung neuer Strukturen auf eine maximale Entropieproduktion abzielen. Die Aufnahme von Phosphat ist nicht zwangsläufig an eine Zellteilung, und damit auch nicht an Wachstum gekoppelt (Zweikompartment-Modell, siehe Droop 1973). Die Entropieproduktion während der Aufnahme mehrerer kleiner Phosphatgaben lässt sich empirisch gut über die Kenngrößen einer Fluß-Kraft Beziehung bestimmen. Die Optimierung der Phosphataufnahme bei Algen kann damit phänomenologisch nach dem Ausmaß der daran gekoppelten Entropieproduktion betrachtet werden. Die Entropieproduktion wird dabei als Aufwand der Phosphataufnahme durch die Algen interpretiert. Es zeigt sich, dass es für die Algen von Vorteil ist, eine bestimmte Menge Phosphat in kleinen nanomolaren Portionen aufzunehmen, da hier die Entropieproduktion relativ niedrig ist, d.h. das Phosphat mit relativ wenig Aufwand aufgenommen werden kann (Teubner et al., Publikation in Vorbereitung). Bei einer Gabe der gleichen Menge an Phosphat aber in Form von wenigen größeren nanomolaren Portionen ist die Entropieproduktion vergleichsweise höher. Man sollte bedenken, dass in natürlichen Binnengewässern, die wenig durch den Menschen beeinflusst sind, kleine Nährstoffgaben ohne Zweifel viel häufiger vorkommen als große. Die Individuenzahlen für einzelne Gruppen von kleinen Tieren im Wasser schwanken in etwa zwischen 1000 und 1000 000 Individuen pro Liter (Teubner et al., Publikation in Vorbereitung). Vier Gruppen, die alle der Lebensgemeinschaft Zooplankton angehören, sollen hier beispielhaft genannt werden: die sich tierisch ernährenden einzelligen Geißeltiere, die Wimperntierchen, die Rädertierchen und die Wasserflöhe. Durch die Ausscheidung dieser kleinen Tiere werden punktuell jeweils nur geringe Phosphatmengen freigesetzt. Weit seltener kommen größere Tiere, wie z. B. Jungfische vor, wo die Ausscheidung eines einzelnen Tieres einen wesentlich höheren Nährstoffpuls darstellt als bei den zuvor genannten kleinen Tieren. Man kann in etwa abschätzen, dass in 1000 Liter nur ein Jungfisch vorkommt und die Zahl der ausgewachsenen Fische nochmals weit niedriger ist. Die Algen können sich mit ihrem aktiven Phosphataufnahmesystem leicht darauf einstellen, ob sie sich gerade in der häufigen Umgebung von vielen kleinen Phosphatgaben inmitten einer „Wolke“ eines Zooplanktonschwarmes oder in der weit seltener vorkommenden Umweltsituation mit großen Phosphatgaben inmitten eines Fischschwarmes befinden. Im Verlauf der Aufnahme vieler kleiner Phosphatgaben können die Algen auch von einem rasch aufnehmenden Modus in einen zweiten, weniger aktiven Aufnahmemodus abrupt wechseln. Die Anpassungsstrategien der Algen bei der Phosphataufnahme sind weit vielfältiger als es hier nur kurz angeführt wurde (Teubner et al., Publikation in Vorbereitung). Sie basieren auf den interaktiven Wechselwirkungen zwischen den Mikroorganismen und ihrer Umwelt.


Über die Dynamik in zeitlich kurzen und räumlich kleinen Skalen, wie sie zuvor kurz beispielhaft erörtert wurden, ist derzeit nur wenig bekannt, obwohl diese Ökosystem-Kenntnis wichtig wäre, um die Entwicklungsbedingungen der kurzlebigen Mikroorganismen in ihren wenig weit ausschweifenden Lebensräumen besser verstehen zu können. Somit würde sich auch das „unerwartete“ Neuaufkommen von problematischen Massenentwicklungen besser erklären lassen. Neu auftretende Massenentwicklungen von aquatischen Mikroorganismen in Gewässern mit Nährstoffmangel sind wiederum nicht zu unterschätzen, da sie meist mit einer erneuten Beeinträchtigung der Gewässernutzung einhergehen. Ein gefärbtes und unangenehm riechendes Oberflächenwasser kann weder als Trinkwasser genutzt werden, noch genügt es den hohen Ansprüchen eines attraktiven Erholungsortes in touristischen Gebieten. Selbst in künstlichen Gewässern, wie den natürlich gestalteten Schwimmteichen, können unerwünschte Entwicklungen von Algen und Cyanobakterien auf einem relativ geringen Nährstoffniveau auftreten, sofern der Teich nicht nachhaltig angelegt wurde. In kleinen Schwimmteichen werden „unerwartete“ Algenentwicklungen häufig viel schneller als in natürlichen Seen festgestellt, nämlich bereits in der ersten Saison in kleinen Becken bzw. nach einer Laufzeit von nur 3-5 Jahren in größeren Schwimmteichanlagen (siehe naturnah gestaltete Teiche S). Mit anderen Worten: Künstliche Wasserbecken reagieren meist viel sensitiver auf geringfügige Nährstoffeinträge als natürliche Ökosysteme. Solche Themen der Nährstoffproblematik sowie weitere Aspekte zur Entwicklung von Primärproduzenten in Binnengewässern werden auf dieser Webseite für verschiedene Gewässertypen aufgezeigt. Die Schlüsselworte, die auf der Seite zu den Publikationen in der rechten Spalte S aufgelistet sind, geben dabei einen Überblick, welche Themenbereiche insbesondere auf dieser Seen-Fluß-Webseite erörtert werden.

hier zitierte Referenzen zur Einleitung

Glaser, R. 2005. Biophysics. Springer Berlin Heidelberg New York , rev. 5th edition, pp 361.

Teubner, K., N. Crosbie, K. Donabaum, W. Kabas, A. Kirschner, G. Pfister, M. Salbrechter & M. T. Dokulil. 2003. Enhanced phosphorus accumulation efficiency by the pelagic community at reduced phosphorus supply: a lake experiment from bacteria to metazoan zooplankton. Limnol Oceanogr 48 (3): 1141-1149. Look-Inside OpenAccess

Droop, M.R. 1973. Some thoughts on nutrient limitation in algae. Journal of Phycology 9: 264-272.

Glansdorff, P. & I. Prigogine. 1971. Thermodynamic Theory of Structure, Stability and Fluctuations. Wiley-Interscience, New York, pp 306.


hier zitierte Referenzen zum CV

[3]  Teubner, K. 2004. More or less? Smaller or bigger? How relevant are relative changes in aquatic ecosystems? Habilitation thesis on Ecological Stoichiometry, Fac. of Sciences and Mathematics, Institute of Ecology and Conservation Biology University Vienna: 188 pp.

[2]  Teubner, K. 1996. Struktur und Dynamik des Phytoplanktons in Beziehung zur Hydrochemie und Hydrophysik der Gewässer: Eine multivariate statistische Analyse an ausgewählten Gewässern der Region Berlin-Brandenburg. Ph.D thesis, Dept. Ecophysiology, Humboldt University Berlin: 232 pp. Look-Inside FurtherLink 

[1]  Pabst, K. 1985. Ökologische Untersuchungen als Grundlage für landeskulturelle Maßnahmen im Bereich der Michelner Teiche (Kreis Köthen). Diploma thesis on Vegetation Survey of reed belts of ponds, Dept. Biology and Chemistry, Teacher training college (Pädagogische Hochschule ‘W. Ratke’), Köthen / Sachsen-Anhalt, DDR: 60 pp. Look-Inside